STOLPERSTEIN ZUR ERINNERUNG AN AUGUST TERTILT VERLEGT
Sebastian Lange, Abiturient des Mariengymnasiums, verfasst Facharbeit über nationalsozialistischen Krankenmord
Von Dr. Stephanie Taube
„Es geht nicht nur um Geschichte, sondern um Gegenwart und Zukunft“ – mit diesen Worten schließt Sebastian Lange, Abiturient des Mariengymnasiums, seine im vergangenen Jahr verfasste Projektarbeit über August Tertilt. Der Warendorfer, geboren 1908, wurde am 31.07.1941 im Rahmen der „Aktion T4“ von den Nationalsozialisten in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet.
Am 30. Juni 2021 wurde ein Stolperstein für August Tertilt an seinem damaligen Wohnort Westbezirk 18 verlegt. Die Erinnerung an eines der „vergessenen Opfer in Warendorf“ resultiert aus mehreren Ursprüngen: zum einen aus dem Projektkurs „Erinnern gegen das Vergessen“, der am Mariengymnasium Warendorf eingerichtet ist, dann aus der VHS-Forscherwerkstatt „Die vergessenen Opfer in Warendorf. Der Mord an psychisch Kranken und geistig Behinderten im Nationalsozialismus“, dann aus der Zusammenarbeit des Abiturienten mit dem Münsteraner Historiker Matthias M. Ester und zum anderen aus dem Engagement von Augusts Neffen, Josef Tertilt und seiner Familie.
Angestoßen wurde Sebastian Langes historische Forschung durch den Projektkurs am Mariengymnasium „Auschwitz – Erinnern gegen das Vergessen“ unter der Leitung von Dr. Stephanie Taube. Alle Schüler:innen teilten das Anliegen, gerade die Geschichte des Nationalsozialismus, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern die Erinnerung an sie in unserer Gegenwart zu verankern. Deshalb fuhr der Kurs zu Beginn des Schuljahres 2019/20 gemeinsam zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Die Fahrt führte zu vielen Gesprächen, auch in den Familien, über die deutsche Vergangenheit und die eigene Familiengeschichte. Einige der Schüler:innen wählten diese als Ausgangspunkt für ihre Projektarbeiten und trugen so zur Aufarbeitung von Biografien aus der Familie bei.
Sebastian Lange entschied sich für die Erforschung des Schicksals von August Tertilt, welcher zunächst nichts weiter als ein Name auf einer Transportliste war, die der VHS-Forscherwerkstatt vorlag. Unterstützt durch Matthias M. Ester und motiviert durch Dr. Stephanie Taube begann Sebastian Lange, die Geschichte hinter dem Namen aufzudecken. Sein Weg führte ihn über das Kreisarchiv Warendorf und das Landesarchiv NRW in Münster hin zu virtuellen Kontakten, wie etwa dem Bundesarchiv in Berlin, und schließlich wieder in das Wohnzimmer von Josef Tertilt in Warendorf. Dieser teilte ihm aus dem Familiengedächtnis an seinen Onkel mit, legte ihm das verbliebene Bildmaterial vor und half tatkräftig mit, die Stolpersteinverlegung zu organisieren. So konnte aus einem Namen auf einer Liste die Erinnerung an eine Person werden, die schließlich von den Nationalsozialisten getötet wurde, weil ihre psychische Krankheit sie in den Augen der Machthaber nicht lebenswert machte. Mit Hilfe des Stolpersteins wird die Erinnerung an August Tertilt wachgehalten, weil die Geschichte für unsere Gegenwart und Zukunft Bedeutung hat, weil jeder Mensch nicht, wie Sebastian Lange es formuliert hat, nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung bewertet wird, sondern – einfach weil er ein Mensch ist – eine unantastbare Würde besitzt.
Sebastian Lange erhielt im Juni 2021 den Landessiegerpreis des Schülerwettbewerbs Osteuropa des Landes NRW in der Kategorie Facharbeiten.